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Fördern durch Beurteilen

von Silke Wehr Rappo

Das Wie und das Was von Prüfungen steuert das Lernverhalten

Bei gängigen schriftlichen oder mündlichen Prüfungsverfahren wird Wissen abgefragt. Studierende bereiten sich auf derartige Prüfungen mit eher oberflächlichem Lernen vor. Sogenanntes Tiefenlernen (Nijhuis et al. 2005) wird durch Prüfungsformen gefördert, die Problemlösefähigkeiten und Anwendungswissen fokussieren und damit kompetenzorientiert sind. Komptenzorientierte Prüfungen sind z.B. fallbasiertes Prüfen oder praxisnahe Aufgaben. Wichtig ist, dass Lernziele, Unterrichtsmethoden und Prüfungsformen übereinstimmen. Bei der didaktischen Planung ist eine Passung von Lernzielen, Unterrichtsmethoden und Prüfungsformen herzustellen (Alignment).

Wie gestaltet man eine kompetenzorientierte Prüfung?

  • Ausgang didaktischer Planung: Kompetenzen und nicht Inhalte
  • Didaktische Kohärenz: Passung von Lernzielen, Unterrichtsmethoden, Prüfungsform
  • Operationalisierung der Lernziele
  • Prüfungsmodus festlegen

Ausgang didakticher Planung: Kompetenzen/Lernziele und nicht Inhalte

Inhalte beschreiben die Gegenstände (Was) einer Lehrveranstaltung. Lernziele konkretisieren im Unterschied dazu neben dem Was das Wie der Qualifikation. Das Anspruchsniveau ist bei der Formulierung von Lernzielen zu spezifizieren: Müssen die Studierenden die drei wichtigsten Spracherwerbstheorien benennen oder sie auch erklären können? Zur Lernzielformulierung sind vor allem Begriffe (Verben) geeignet, die es ermöglichen, Verhalten zu beobachten. Hierdurch werden Lernziele operationalisierbar und überprüfbar. Das Lernziel "Die Studierenden kennen die wichtigsten Spracherwerbstheorien" ist weniger konkret und deshalb schwieriger zu überprüfen als das Lernziel "Die Studierenden können die drei wichtigsten Spracherwerbstheorien benennen oder erklären" (je nach Anspruchsniveau) (Wehr 2007, S. 190).

Lernzieltaxonomie

In Anlehnung an Bloom et al. (1972) unterscheiden Anderson & Krathwohl (2001) unterschiedlich anspruchsvolle Denkleistungen. Je nach Art der Denkleistung wird eine bestimmte Lernzielebene angesprochen. Insgesamt haben Bloom und seine Mitarbeitenden sechs Stufen von Lernzielen im kognitiven Bereich definiert:

1 Erinnern (Wissen reproduzieren können)
2 Verstehen (Wissen erläutern können)
3 Anwendung (Wissen anwenden können)
4 Analyse (Zusammenhänge analysieren können)
5 Beurteilen (einen Sachverhalt anhand von Kriterien bewerten können)
6 Synthese/Schaffen/Entwicklung (Elemente zu einem neuen Ganzen verbinden)

Wenn die in einer Lehrveranstaltung angestrebten Lernziele alle sechs Taxonomiestufen betreffen, sollten diese sechs Ausprägungsgrade auch Gegenstand der Prüfung sein.

Operationalisierung der Lernziele – Beispiele (vgl. Wehr 2007)

Taxonomiestufe 1 – Beispiel für eine Kenntnisfrage

Bei welchem organischen Defekt ist die Ursache von Aussprachestörungen eindeutig? 

Taxonomiestufe 2 – Beispiel für eine Verständnisfrage

Erklären Sie, warum ein Unterschied besteht, ob man von Bedingungsfaktoren oder von (kausalen) Ursachen einer Sprachstörung spricht? 

Taxonomiestufe 3 – Beispiel für eine Anwendungsfrage

Aufgrund einer Sprachsymptomatik geeignete therapeutische Massnahmen ableiten.

Taxonomiestufe 4 – Beispiel für eine Analysefrage

Wie spricht ein phonologisch gestörtes Kind mit dem phonologischen Prozess der Plosivierung das Wort „Schal“ beispielsweise aus und das Wort „Meter“ bei Labialisierung?

Taxonomiestufe 5 – Beispiel für eine Beurteilungsaufgabe

Beurteilung, ob ein Kind eine Sprachstörung hat oder nicht, anhand eines Fallbeispiels.

Taxonomiestufe 6 – Beispiel für eine Entwicklungsfrage

Schreiben eines Diagnoseberichtes über ein sprachgestörtes Kind anhand eines Fallbeispiels.

Prüfungsmodus festlegen

Kompetenzorientierte Prüfungen setzen auf Stufe 3 und aufwärts an, da sie die Anwendung (den Transfer) von Wissen voraussetzen bzw. Problemlösungen und Beurteilungen verlangen (Stufe 4, 5 und 6). Prüfungsformen, die dies ermöglichen sind Prüfen mit Hilfe von Fällen oder Prüfen in praxisnahen Situationen (Wehr 2007, S. 185–197).

Quellen

Anderson, L. W. & Krathwohl, D. R. (Hrsg.) (2001). A Taxonomy for Learning, Teaching, and Assessing. A Revision of Bloom's Taxonomy of Educational Objectives. New York u.a.: Longman.
Bloom, B. S. (1972) (Hrsg.). Taxonomie von Lernzielen im kognitiven Bereich. 4. Auflage. Weinheim, Basel: Beltz Verlag.
Nijhuis, J. F. H., Segers, M. S. R. & Gijselsaers, W. H. (2005). Influence of Redesigning a Learning Environment on Student Perceptions and Learning Strategie. Learning Environments Research, 8, S. 67–93.
Wehr, S. (2007). Prüfen von Kompetenzen. In: Wehr, S. & Ertel, H. (Hrsg.): Aufbruch in der Hochschullehre. Kompetenzen und Lernende im Zentrum. Bern u.a.: Haupt Verlag.